Die aktuellen Zahlen sind alarmierend: Über eine viertel Million Menschen in der Schweiz leiden unter ihrem Internetnutzungsverhalten. Etwa 70‘000 Betroffene haben die Kontrolle gar verloren. Das Problem: Jugendliche sind siebenmal häufiger betroffen als Erwachsene und es fehlen anerkannte Diagnosekriterien.
Diese Zahlen hat die Stiftung „Sucht Schweiz“ in ihrem Suchtpanorama 2016 veröffentlicht. Laut Stiftungsbericht haben rund ein Prozent der Schweizer Gesamtbevölkerung (circa 70‘000) ein Problem mit ihrer Internetnutzung. Konzentriert man sich lediglich auf den Anteil, den die Jugendlichen ausmachen, so kommt man gar auf 7,4 Prozent.
Bestätigen will Franz Eidenbenz, Leiter Behandlung bei RADIX (dem Zürcher Zentrum für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte), diese Zahl nicht. Nichtsdestotrotz attestiert er Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren «ein erheblich höheres Risiko.»
Lockert man die Kriterien etwas und bezieht auch Fälle mit ein, in denen lediglich «Anzeichen einer als symptomatisch (risikobehaftet) qualifizierten Nutzung vorliegen», so vervierfacht sich die Anzahl der Süchtigen auf 4,3 Prozent der Bevölkerung. Dies bedeutet, dass 370‘000 der Schweizer und Schweizerinnen mit ihrem Internetkonsum Probleme haben.
Für Eidenbenz ist diese massive Zunahme besorgniserregend. Laut dem Experten hängt die Zunahme der Problemfälle mit der stetig steigendenden Verfügbarkeit des Internets zusammen. «Seit das Internet mit dem Handy erreicht werden kann, sind die Fälle nochmals gestiegen», sagt Eidenbenz im Interview mit SRF News.1
Es gilt jedoch zu beachten, dass nicht alleine die vor einem Bildschirm verbrachte Zeit als Suchtkriterium ausschlaggebend ist.
Immer mehr Jugendliche leiden an Schlafproblemen
Die MIKE-Studie (Medien, Interaktion, Kinder, Eltern) zeigt auf, dass neun Prozent der Befragten Sechs- bis Dreizehnjährigen mindestens einmal pro Woche das Smartphone nutzen, wenn sie eigentlich schlafen sollten. Bei den Zwölf- bis Dreizehnjährigen sind es sogar ein Drittel der Befragten. Die JAMES-Studie (Jugend-, Aktivitäten-, Medienerhebung Schweiz) weist zudem nach, dass die Schlafdauer der Jugendlichen abnimmt. Dieses Phänomen wird unteranderem auf die Leuchtbildschirme zurückgeführt, deren Strahlung die Produktion des Schlafhormones Melatonin hemmen.
Doch das Internetverhalten im Bett zeigt sich nur zu einem kleinen Teil für die zunehmende Internetsucht verantwortlich.
Wie entsteht die Internetsucht?
Das Internet als Medium ist nur der Katalysator für verschiedenste Verhaltenssüchte. Insbesondere Webseiten für Glücksspiele, pornografische Inhalte oder Online-Einkäufe, aber auch Soziale Netzwerke, begünstigen die Entwicklung problematischer Nutzungsverhalten.
Wenn das Internet immer wichtiger wird und zugleich Freundschaften nicht mehr gepflegt und die Familie, Hobbys und der Beruf vernachlässigt werden, so sind dies deutliche Anzeichen für eine sich entwickelnde Sucht. Wenn Betroffene also beginnen, ihr reales Leben zugunsten des digitalen Lebens umzuorganisieren, sollten Familie und Freunde Hilfe bieten und je nach Situation an Suchtberatungen verweisen. Für den Psychologen Franz Eidenbenz beginnt Prävention indes bereits in der Familie: «Wir wissen heute», sagt der Experte für Neue Medien, «dass ungelöste oder unausgesprochene, familäre Probleme das Suchtverhalten von Kindern begünstigen.»
Es besteht Handlungsbedarf
Jugendschutzmassnahmen müssen laut Experten auch für das Internet gültig sein. Zudem müssen Prävention, Medienkompetenz sowie die Früherkennung einer problematischen Internetnutzung weiterhin gefördert werden. Das Internet und die technischen Möglichkeiten entwickeln sich so rasant, dass die Folgen der Internetsucht für Bildung, Arbeitswelt und soziale Beziehungen im Allgemeinen unbedingt weiter untersucht und darüber aufgeklärt werden muss!
Quellen:
1 http://www.srf.ch/news/schweiz/internetsucht-370-000-menschen-haben-ein-problem