Mobilfunkantennen: Berner Gemeinden schaffen richtungsweisenden Gerichtsentscheid

Zukünftig dürfen Gemeinden den Bau von Handyantennen aus Gründen des Ortsbild- oder Landschaftsschutzes verhindern. Dieses Reglement eröffnet ganz neue Perspektiven für Einsprecher.

Immer mehr Menschen stellen die Bedenkenlosigkeit von Handyantennen in Frage und sind nicht mehr gewillt, diese in ihrer unmittelbaren Umgebung errichten zu lassen. Bei Einsprachen mit dem Hinweis auf gesundheitliche Bedenken sind diese aber meist chancenlos, da sich die Behörden auf die gesetzlich (viel zu hoch) festgelegten Grenzwerte berufen.

Ein kürzlich publiziertes Urteil des bernischen Verwaltungsgerichts unterstreicht jetzt ein weiteres Mal: Wollen Gemeinden Handyantennen verhindern, so ist die Aussicht auf Erfolg um ein Vielfaches höher, wenn die Baureglemente entsprechend angepasst werden können. Am 15. November 2012 entschied das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, dass Gemeinden Regelungen erlassen dürfen, um Antennen zu verhindern, wenn sie mit dem Schutz des Ortsbilds, besonderer Bauten oder der Landschaft argumentieren.

Den detaillierten Erlass finden Sie hier: Entscheid Berner Verwaltungsgericht 15. Nov. 2012


Mobilfunkanbieter nicht einverstanden
Gleich zwei der grössten Telekommunikationsunternehmen, Swisscom und Orange, hatten Beschwerde gegen diese neue Regelung eingereicht. Mit ihrer Kritik des Baureglements der Gemeinde Bolligen (BE) waren die beiden Unternehmen zuvor beim Regierungsrat gescheitert.

In der gut 6‘000 Einwohner zählenden Gemeinde Bolligen sorgte eine bestehende Natel-Antenne an einem Strommast für heisse Köpfe, als deren Sendeleistung erhöht werden sollte. Die Antenne liegt inmitten schützenswerten Kirschbäumen.

Im Dezember 2008 beschloss die Gemeindeversammlung aufgrund dieses aktuellen Anlasses, das Baureglement entsprechend zu ändern. „In Ortsbilderhaltungsgebieten, auf schützens- und erhaltenswerten Bauten und in deren Umgebung sowie in Landschaftsschutzgebieten und bei geschützten Naturobjekten dürfen keine Mobilfunkantennen aufgestellt werden“, heisst es in einem Reglementsartikel.

Desweiteren darf auch der Blick aus grosser Distanz auf schützens- und erhaltenswerte Bauten nicht durch eine Antenne gestört werden. Ein weiterer Vorstoss, welcher die Höhe von Antennen begrenzen wollte, musste die Gemeinde auf Geheiss des kantonalen Amts für Gemeinden und Raumordnung streichen. Zulässig blieb dagegen auch der Verweis aufs Inventar der geschützten Naturobjekte.


Mogelpackung der Gemeinden
Die beiden Telekommunikationsunternehmen argumentierten, beim besonderen Artikel handle es sich um eine juristisch unzulässige Mogelpackung. Vordergründig mache die Gemeinde damit ortsplanerische Erwägungen geltend, tatsächlich aber wolle man die Bevölkerung vor Strahlung schützen. Gemäss den Handyunternehmen müssen sich die Gemeinden aus dieser Frage aber heraushalten. (Gemäss Artikel 31 USG, sind die Gemeinden dazu verpflichtet, die Gesundheit und das Wohlergehen aller Bürgerinnen und Bürger auf dem Gemeindegebiet zu schützen, Anm. der Red.)


Ästhetische Begründung für Einsprachen zulässig
Dass der Ortsbild- und Landschaftsschutz ein legitimes öffentliches Interesse darstelle, um den Bau von Handyantennen einzuschränken, hätten Swisscom und Orange nicht einmal bestritten, schreibt das Verwaltungsgericht. «Zu Recht», meinen die Richter. Somit ist gegen eine Baubeschränkung aus ästhetischen Gründen laut dem schriftlichen Urteil nichts einzuwenden.

Für die Mobilfunkanbieter wird die Installation neuer und stärkerer Antennen zukünftig somit noch schwieriger. Bereits im März 2012 hatte die bernische Gemeinde Urtenen-Schönbühl ein Präjudiz geschaffen. Die Gemeinde verbannte Antennen aus dem Wohngebiet. In Wohnzonen sind sie gemäss Baureglement nur dann zulässig, wenn sich keine Alternative im Gewerbe- oder Industriegebiet bietet. Auch Ittigen (BE) hat eine ähnlich lautende Einschränkung beschlossen. Dieses sogenannte Kaskadenmodell wurde vom Bundesgericht im März dieses Jahres gutgeheissen.


Neue Einsprache-Möglichkeiten

Mit dieser neuen Möglichkeit Handyantennen zu verhindern, ist das grundlegende Problem der schädlichen Mobilfunkstrahlung zwar (noch) nicht aus der Welt geschafft, jedoch wird die Bevölkerung einmal mehr auf das Thema Mobilfunk sensibilisiert und darauf aufmerksam gemacht. Die in Bolligen angewandte Regelung gibt neuen Mut und verspricht auch da Erfolg, wo der Kampf bisher aussichtslos war und andere Gemeinden werden diesem Beispiel folgen.

https://www.naturalscience.org/de/news/2012/12/mobilfunkantennen-berner-gemeinden-schaffen-richtungsweisenden-gerichtsentscheid/